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K: Unternehmen verkaufen heute zunehmend Erzählungen, um Leuten, die schon alles haben, was sie brauchen, noch irgend etwas andrehen zu können. Dadurch gewinnen in der Gesellschaft all jene an Bedeutung, die in irgendeiner Form emotional aufgeladene Zeichen produzieren. Innerhalb des urbanen Milieus, das die Experten der Produktion von Identität stellt, nimmt wiederum der bildende Künstler eine zentrale Stellung ein. Er arbeitet im Versuchslabor und ist zugleich der früheste Early Adopter. Er ist die konsequenteste Ausprägung des Typus. So entsteht der erstaunliche Eindruck, die marginale Figur des bildenden Künstlers spiele eine bedeutsame Rolle in der Gegenwartsgesellschaft.

 

Entsprechend hat der Konsument in den meisten seiner Lebensbereiche heute zunehmend individuell zu sein, zumindest wenn er bestimmten derzeit kulturprägenden Milieus angehört. Das leistet er, indem er sein Leben unter Verwendung disparater Quellen „kuratiert“ - siehe die Internet Seite „Freunde von Freunden“. Der Künstler kann auch in diesem Zusammenhang als Rollenmodell auftreten, da dieser ja ohne weiteres jeden Teil seiner Existenz der Profanität entreissen kann, in dem er ihn zum Aspekt seines Produktionsprozesses erklärt und das ist gewissermaßen die Maximalversion dessen, was die anderen versuchen. Gleichzeitig ist die Identitätskonstruktion des Künstlers für alle anderen unerreichbar, da dieser mit einer Art metaphysischem Ritterschlag versehen ist (ein Fest für den Narzissmus) der zumindest unter der Hand immer angenommen wird, auch in den ganz aktuellen, aufgeklärten, politischen und konzeptuellen Formaten. Immer schwingt nämlich die Annahme mit, dass die Kunst mit etwas äußerst Grundsätzlichem zu tun hat, das mehr oder weniger alle Menschen angeht und das rückt die Kunst so oder so in die Nähe der Metaphysik. Der Künstler ist also mit einer Art Zauberstab ausgestattet, der jedem Aspekt seines Lebens Glanz verleihen kann, was sicher der feuchte Traum des Lifestyle Kurators ist, insbesondere vor dem Hintergrund real prekärer materieller Bedingungen (siehe näher, und mit anderen Akzentsetzungen: Andreas Reckwitz).

 

K: Zugleich wandelt sich das institutionelle Idealbild des bildenden Künstlers. Es wird dem eines Quasi-Angestellten angeglichen, der an eine Unternehmenshierarchie gebundenen ist, aber trotzdem ganz für sich selbst verantwortlich ist. So spricht man etwa zunehmend von schematisierten Karriereverläufen, in denen es Statusmarkierungen wie die sogenannte Mid-Career-Exhibition gibt. Die Künstler greifen das bereitwillig auf, und können dem Jungunternehmer oder dem Unternehmensberater in Sachen Selbstoptimierung und strategischer Karriereplanung mittlerweile ohne weiteres das Wasser reichen. Dem entspricht auf der Seite der Institutionen natürlich der wachsende Einfluss von privaten Sammlern, die ihre Sammlungen mehr und mehr auch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachten.

 

A: Was wollt ihr mehr? Es ist ein Rausch. Die dynamische Rückkopplungschleife zwischen dem Körper und der äußeren sinnlichen Manifestation in einem vibrierenden, kochenden, hochstufigen Gleichgewicht am Rande des Zusammenbruchs!

 

K: Das Bild des schematischen Karriereverlaufs ist natürlich nur die unerreichbare Banane, die dem wild entschlossenen Künstler vor die Nase gehalten wird und damit pure Ideologie. Denn nach wie vor hängt der Markt an ein einem Starsystem, das die Exklusion fast aller Teilnehmer voraussetzt, um die Besonderheit seltener Menschen und Erzeugnisse mit Höchstpreisen vergolden zu können.

 

Alles in allem ist der Künstler also ein Fall von Humankapital wie es sich das einzig wahre Kapital wünscht. Er verausgabt sich bedingungslos unter Einsatz aller seiner Kräfte und Leidenschaften. Es kümmert ihn kaum, dass das Spiel, das er spielt, nur eine handvoll Gewinner hat, die fortan in ihren Palästen sitzen und das Spiel interessant und unterhaltsam finden. Denn die statistisch unerhebliche Aussicht, einst selbst zu diesen Gewinnern zu gehören, hält ihn aufrecht. Er glaubt fest daran, dass der Erfolg an seinen höchst persönlichen Taten hängt, denn dieser Glaube gibt ihm die Hoffnung, ohne die er nicht arbeiten könnte. Dass er seines Glückes Schmied zu sein hat, und kein Recht auf Unterstützung irgendeiner Art besitzt, begreift er als willkommenes Heldentum, das den Glanz seines Ruhmes einst noch heller strahlen lassen wird.

 

Aber, so könnte man fragen, wer hat ihn schon gezwungen Künstler zu werden?

 

A: Trotzdem, es gibt einen schlichten unmittelbar evidenten Auftrag. Das Herstellen, Betrachten, diskutieren usw. der Arbeit kann eine in sich sinnvolle Handlung sein, so wie einen Freund zu treffen, oder mit seinem Kind zu spielen. Die Arbeit muss so sein, dass die Handlungen, die mit ihr zu tun haben, auf diese Art sinnvoll sind.

K: Und man könnte weiter fragen. Warum ist der Künstler so versessen darauf, in dem etablierten Kunstbetrieb eine Rolle zu spielen? Der Begriff Kunst wird heute so verwendet, als könnte man die verschiedenen Objekte, die man in den Büchern der „Kunst“-Geschichte findet ohne weiteres der gleichen Kategorie zuordnen. Danto vertritt die Auffassung, dass das Wesen des Kunstwerkes in seiner Rolle in einem bestimmten sozialen System besteht. Trifft das zu, hat ein Gemälde, das Rubens im Auftrag der Kirche gemalt hat, ziemlich wenig mit einem Gemälde von Neo Rauch zu tun, das an einen amerikanischen Sammler verkauft wurde. Aber auch, wenn man die Objekte selbst betrachtet, die heute als Kunst gelten, ist es schwer durchgängige Gemeinsamkeiten finden, die eine eigene Kategorie von Ding begründen könnten. Das gilt bereits für die Werke der Gegenwart und noch mehr gilt es, wenn man weiter Zeit in der zurück geht. Man ist also versucht zu sagen: Kunst existiert nicht. Vielleicht ist es möglich, für die Gegenwart eine soziale Gesamtheit abzugrenzen (ein Feld, ein System usw. – man braucht eine soziologische Theorie um diese Gesamtheit genauer zu bestimmen), das zumindest so weit eine Einheit darstellt, und zudem bestimmte besondere Eigenschaften aufweist, das man sie als den einen Kunstbetrieb der Gegenwart bezeichnen kann. Dann könnte man die Objekte, die in diesem „Kunstbetrieb“ eine bestimmte Rolle spielen, als die heute existierenden Kunstwerke bezeichnen. Diese Art von sozialer Gesamtheit ist historisch neu und entsteht vermutlich im 19. Jahrhundert. Sie ist eng verbunden mit der bürgerlichen Gesellschaft und damit auch mit dem Kapitalismus als Wirtschaftsform. Das hat die Konsequenz, dass die Gegenwartskunst nicht nur in ihren Institutionen sondern auch in den zentralen Begriffen ihres Selbstverständnisses eng mit der kapitalistischen Wirtschaftsform verbunden ist. Bedenkt man ausserdem die Kontingenz des sozialen Phänomens Kunstbetrieb, kann man sich leicht vorstellen, dass dieser ohne weiteres wieder verschwinden kann, und mit ihm die Kunstwerke als Kunstwerke (nicht unbedingt die materiellen Objekte), wenn sich die Gesellschaft im Ganzen hinreichend stark verändern sollte. Auch könnte dies in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft geschehen.

 

 

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